MANAGEMENT

Prof. Dr. Klaus Krüger

Delegation in der Praxis: Die Perspektive des Rheumatologen

Management

Rheumafachassistenz - eine Erfolgsgeschichte


Im Herbst 2005 traf sich in Erlangen eine Gruppe von sechs Rheumatologen/ Rheumatologinnen, um − mit Unterstützung der Firma Abbott − ein Curriculum zur Ausbildung von rheumatologischen Fachassistentinnen zu erstellen. Wir hatten damals zum einen die Gewissheit, dass in unseren jeweiligen Kliniken und Praxen Mitarbeiterinnen mit großem Interesse für die Rheumatologie und Bedarf für Fortbildung arbeiten, zum anderen schon damals das Gefühl, dass die Versorgung von Rheumakranken zukünftig ein breiteres Fundament benötigt. Aus den kleinen Anfängen wurde eine Erfolgsgeschichte, die man damals noch nicht für möglich gehalten hätte. Mit der Rheumaakademie wurde eine Institution gefunden, die bereit und in der Lage war, als Organisationsstruktur Kurse zu etablieren, als Ansprechpartner für Teilnehmer/innen zu dienen und alle zusätzlichen Aufgaben rund um diese neugeschaffene Ausbildung zu übernehmen. In den folgenden Jahren wurde der Kreis der Referenten und Kursautoren sukzessive vergrößert und das Kursangebot erweitert: Zum Grundkurs, der an vier Wochenenden 64 Unterrichtseinheiten vermittelte, kamen zunächst Refresherangebote, „Schnupperkurse“ für an der Rheumatologie Interessierte und an Kliniken stattfindende Aufbaukurse hinzu. DGRh und BDRh übernahmen die Schirmherrschaft und es wurde eine Zertifizierung für die Teilnehmerinnen geschaffen.

Vor allem definiert sich diese Erfolgsgeschichte jedoch über die Teilnehmerzahlen: Unterdessen sind fast:

  • 2.000 Rheumafachassistent/innen ausgebildet,
  • mehr als 50 Grundkurse haben an 17 deutschen Veranstaltungsorten stattgefunden!
  • die nächsten Kurse im Jahr 2021 nahezu ausgebucht, d. h. der Bedarf an Ausbildung für diese Berufsgruppe hält unvermindert an.

Seit einigen Jahren wurden von der Rheumaakademie und allen weiteren Beteiligten Anstrengungen unternommen, die zertifizierte Ausbildung in einen von der Bundesärztekammer anerkannten regelrechten Berufsabschluss zu überführen. Hierbei war hilfreich, dass unterdessen ein zusätzlicher weiterführender Kurs „RFA Plus“* mit neuen komplementären Inhalten etabliert werden konnte, durch den nicht nur eine weitere Vertiefung des Fachwissens möglich wurde, sondern die für den Berufsabschluss erforderliche Zahl an Ausbildungsstunden erreicht werden konnte. Die förmliche und „amtliche“ Anerkennung des Berufsbildes Rheumatologische Fachassistenz steht damit unmittelbar vor dem Abschluss. Ein weiteres Kapitel der Erfolgsgeschichte ist die Etablierung eines Fachverbandes Rheumatologische Fachassistenz e. V., in dem mittlerweile viele der ausgebildeten Fachassistent/innen organisiert sind.


Warum ein dringender Bedarf für Delegation besteht


Es ist hinlänglich bekannt, dass die Versorgung von Rheumapatienten in Deutschland durch quälende Defizite gekennzeichnet ist. Die Zahl an Patienten, die durch den Rheumatologen zu versorgen sind, nimmt kontinuierlich zu. Hierzu trägt einmal die (erwünschte) verbesserte Awareness primärversorgender Kollegen für rheumatische Erkrankungen bei, die durch verstärkte Bemühungen um ein gutes Fortbildungsangebot seitens der Fachgesellschaft und der Rheumaakademie erreicht wurde. Noch mehr fallen demografische Gründe ins Gewicht: Auch für Rheumapatienten gilt, dass die Lebenserwartung sich − nicht zuletzt durch die enormen therapeutischen Fortschritte − kontinuierlich erhöht hat, Rheumapatienten bedürfen so über einen immer längeren Zeitraum der intensiven Betreuung durch den Rheumatologen.

Dem steht gegenüber, dass die Zahl der für die Betreuung zur Verfügung stehenden Rheumatologen nicht zunimmt, mittelfristig vielleicht gar rückläufig ist. Das 2016 aktualisierte Memorandum der DGRh weist trotz sehr großzügiger Einschätzung der Arbeitskapazität des Rheumatologen auf das Fehlen von mindestens 600 Fachärzten hin. Dabei ist nicht einmal berücksichtigt, dass ein Trend zur Arbeit in Teilzeit besteht und die Altersstruktur befürchten lässt, dass viele Kollegen/innen in den nächsten Jahren ihre Tätigkeit beenden werden. Das wäre unproblematisch, wenn gleichzeitig genügend Rheumatologen ausgebildet würden, die alsbald nachrücken. Da die Anzahl rheumatologischer Einrichtungen an den Universitäten kaum zunimmt und die Zahl der Rheumakliniken mit Ausbildungsplätzen eher rückläufig ist, ist dies jedoch absehbar sicher nicht zu erwarten: Die Anzahl junger Kollegen, die die Facharztprüfung absolvieren, stagniert seit vielen Jahren.

Es muss also nach neuen Wegen gesucht werden, um die Versorgung sicherzustellen. Neben Digitalisierung und Automatisierung, deren Nutzen für die Versorgung erst belegt werden muss, ist hier die Delegation eine große Hoffnung. Unterdessen gibt es kaum noch rheumatologische Schwerpunktpraxen, in denen keine entsprechend ausgebildeten Fachassistent/innen tätig sind. Zumindest von der personellen Infrastruktur her besteht somit in den meisten Einrichtungen die Möglichkeit, diese Ressource zu nutzen, wenn die innerbetrieblichen Kapazitäten dies zulassen.


Sprechstunde durch die Fachassistenz - ist das bereits umsetzbar?


International ist eine (Mit)Betreuung von Rheumakranken durch Fachassistent/innen (international: Nurses) in vielen Ländern seit Langem möglich und üblich. Dies trifft beispielsweise für die Beneluxstaaten, Großbritannien und die skandinavischen Länder zu. In Flächenstaaten wie Norwegen oder Finnland ist eine vergleichsweise eher kleine Zahl an Rheumatologen in wenigen weit auseinander liegenden großen Zentren tätig. Patienten jedoch sind naturgemäß über das ganze Land verteilt. Die Sprechstunde durch Nurses ist in diesen Ländern seit vielen Jahren Standard. Nurses sind weitgehend allein für die Routine-Betreuung der Patienten zuständig und ziehen Ärzte nur bei Auftreten von Problemen hinzu. Das Problem des Flächenstaates wird durch routinemäßige Etablierung von Videosprechstunden gelöst, für die ebenfalls in erster Linie die Nurses zuständig sind. Es versteht sich, dass die Nurses auch für die Infusionszentren und für die Durchführung von Studien verantwortlich bzw. mitverantwortlich sind. Wer die große internationalen Rheumatologie-Kongresse wie EULAR oder ACR besucht, wird registriert haben, dass ein wachsender Anteil des Kongressprogrammes ebenfalls von Nurses bestritten wird, d. h. es findet eine zunehmende Einbindung in wissenschaftliche Projekte statt, die sich auch in Publikationen in hochrangigen Journalen niederschlägt; auch die selbständige Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen ist immer häufiger zu beobachten.

Was international möglich und üblich ist, sollte auch in Deutschland umsetzbar werden! Zwar muss zunächst ein zeitlicher Rückstand aufgeholt werden: Während die selbständige Tätigkeit der rheumatologischen Nurses in einigen Ländern schon im ausgehenden 20. Jahrhundert üblich war, setzte hierzulande eine strukturierte Ausbildung erst 2006 ein (siehe oben). Lange Zeit herrschte unter den Rheumatologen auch Unklarheit über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Delegierbarkeit, vielfach war übergroße Vorsicht bezüglich der Übertragung zusätzlicher Aufgaben für die immer besser qualifizierten Mitarbeiter/innen die Folge, was wiederum bei den ausgebildeten Fachassistent/innen Frustration hervorrief, weil das Erlernte am Arbeitsplatz kaum angewendet werden konnte. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie setzte hier Zeichen, indem eine Ad-hoc-Kommission gegründet wurde, die die Aufgabe übertragen bekam, juristisch sichere Rahmenbedingungen für die Delegation in der Rheumatologie zu schaffen. Die Arbeit dieser Kommission ist abgeschlossen und hat auf diesem Gebiet für Klarheit gesorgt.

Flankierend konnte wissenschaftlich nicht nur international, sondern auch in Deutschland in Studien gezeigt werden, dass rheumatologische Fachassistent/innen in der Lage sind, unter entsprechender Verlinkung mit dem Arzt sich selbstständig an der Versorgung der Patienten zu beteiligen. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist die multizentrische ERIKO-Studie, in der wir ermitteln wollten, inwieweit die Fachassistentin selbstständig in der Lage war, mit einem strukturierten Programm ein Komorbiditäten-Assessment durchzuführen. Diese Studie erbrachte ausgezeichnete Ergebnisse und hatte z. B. für uns zur Folge, dass Teile des Programms in den Praxisalltag übernommen wurden. Ein weiteres Beispiel ist die niedersächsische ERFASS-Studie, in der untersucht wurde, ob eine strukturierte Erfassung und Dokumentation von Krankheitsaktivität und Therapieverlauf durch die Fachassistenz (mit kurzem zusätzlichem Arztkontakt) zu einer vergleichbaren Versorgungsqualität führt wie der derzeitige Versorgungsstandard. Auch in dieser Studie waren die Ergebnisse vielversprechend. Darauf aufbauend läuft gegenwärtig unter Leitung des Rheumazentrums Hannover die DELIVER-CARE-Studie, in der randomisiert über 52 Wochen die Betreuung der Rheumakranken durch die Fachassistenz bzw. durch den Rheumatologen bezüglich Outcome verglichen werden. Man kann davon ausgehen, dass die Ergebnisse dieser Studien – bisher durchweg positiv ausgefallen – wissenschaftlich Machbarkeit und Wert der Delegation untermauern.


Ablauf der Fachassistenz-Sprechstunde in unserem Zentrum


Wir haben die Fachassistenz-Sprechstunde in unserem Zentrum seit einigen Monaten fest etabliert. Zwei ausgebildete und erfahrene Kolleginnen wechseln sich mit einer wöchentlichen, mehrstündigen Sprechstunde ab. Für ggf. erforderliche sofortige Maßnahmen steht ein Rheumatologe im Hintergrund zur Verfügung, alle Fälle werden zeitnah kurz besprochen. Die so betreuten Patienten erhalten den nächsten turnusmäßigen Termin wieder beim Rheumatologen. Ziel ist eine abwechselnde Betreuung in beiden Sprechstunden. Aus einem eigenen Beitrag einer der beiden beteiligten Fachassistentinnen (siehe Frau Joppa) sind nähere Einzelheiten zu den Inhalten dieser Sprechstunde zu entnehmen, die bisher reibungslos abläuft und nicht zuletzt auch zur Entlastung des überfüllten Kalenders beiträgt. Die Akzeptanz seitens der Patienten/innen ist nach mündlichen Aussagen der Betroffenen hervorragend, es läuft aber auch eine regelrechte Evaluation, die dann noch detailliertere Auswertungen ermöglichen wird, aus denen wir Schlüsse zur weiteren Verbesserung ziehen können.

Ausblick


Die rechtlichen Voraussetzungen für Delegation und die Fachassistenz-Sprechstunde sind erarbeitet, immer mehr Zentren betreiben eine solche Sprechstunde schon seit Längerem oder machen damit zumindest erste Erfahrungen. Anhand wissenschaftlicher internationaler und nationaler Untersuchungen ist gezeigt, dass die Fachassistenz in der Lage ist, den Rheumatologen viel mehr zu unterstützen und zu entlasten als man das früher für möglich gehalten hat, und sogar bei eigenen wissenschaftlichen Projekten gestaltend mitwirken kann.

Lange Zeit war unklar, wie sich erweitertes Wissen und Kompetenz sowie der umfassendere Tätigkeitsbereich auch finanziell abbilden lassen, dies blieb individuell der Kreativität und Bereitschaft des jeweiligen Arbeitgebers überlassen. Aber auch hier sind Fortschritte in naher Zukunft zu erwarten. Nach der soeben erfolgten Anerkennung des beruflichen Abschlusses durch die Bundesärztekammer wird mit einer entsprechenden tariflichen Regelung zu rechnen sein.